Wuhle, Wiese, Wohnen
Ein Campus für Innovation und Fortschritt, der den Wissensaustausch auf natürliche Weise fördert.
Region
Europa und Nordamerika
Datum
2023
Service
Städtebau und öffentlicher Raum
Project Details
Location
- Berlin (Deutschland)
Typ
- Commission
- Competition
Client
- Kilian Immobiliengruppe
Partners
Surface
18.3ha
Ein Gestaltungskonzept, das dem historischen Korridor neues Leben einhaucht, ihm eine unverwechselbare Identität verleiht und gleichzeitig seine ökologische Integrität bewahrt.
Der Wuhlegrünzug gehört seit dem 18. Jahrhundert zum planerischen Erbe des Großraums Berlin. Heute ist er ein wichtiger Korridor für die biologische Vielfalt und ein beliebter Grünzug für Radfahrer und Naturliebhaber. An seinem jetzigen Standort hat er jedoch ein trauriges Ende gefunden: eine Abwasserleitung ist ausgetrocknet.
Berlin hat Maßnahmen ergriffen, um den Wuhlekorridor wiederherzustellen und zu sanieren. Im Zuge dessen haben uns gefragt: Wie wäre es, wenn wir den Zufluss der Wuhle wiederbeleben? Könnte das der Dreh- und Angelpunkt für das zukünftige Wohngebiet werden? Wie gehen wir mit der gestalterischen Herausforderung einer Wohnbebauung im Überschwemmungsgebiet um? Ist die Verwildern des Korridors erstrebenswert, um die Aufnahmefähigkeit im Kontext von Überschwemmungen zu verbessern?
Aus diesen Fragen entstand unser Entwurfsbeitrag: Wuhle-Zufluss, Wiese, Wohnen. Ein Gestaltungskonzept, das dem historischen Korridor neues Leben einhaucht, mit einer unverwechselbaren Identität und unter Wahrung der ökologischen Integrität.
“Was würde passiere, wenn wir den Wuhle-Zuflusses Revitalisieren? Könnte er zum Dreh- und Angelpunkt des neuen Wohnquartiers werden? Wie gehen wir mit der gestalterischen Herausforderung einer Wohnbebauung im Überschwemmungsgebiet um? Verwildern wir den Korridor, um die Aufnahmefähigkeit im Kontext von Überschwemmungen zu verbessern?
Wuhle - Wiese - Wohnen
Nachhaltigkeit
Das Wettbewerbsgebiet liegt in Ahrensfelde, nordwestlich des Bahnhofs Ahrensfelde Friedhof und des alten Ortskerns von Ahrensfelde. Im Nordosten schließt sich eine bewaldete Wiese an. Im Südwesten grenzt der Fläche an eine durch Einfamilienhäuser geprägte Wohnsiedlung.
Bei unseren Besuchen vor Ort konnten wir feststellen, dass sich die heutigen Anwohner aktiv an den Re-Wilding-Aktivitäten beteiligen. Dies spiegelt eine Gemeinschaft wider, die ihre natürliche Umgebung schätzt und sich aktiv mit ihr auseinandersetzt.
Die bewaldete Wiese im Norden fällt zum Wettbewerbsgebiet hin ab, was zu Überschwemmungen führt. Unser Entwurf sieht eine behutsame Erweiterung des Wuhlekorridors und eine Revitalisierung des Nebenflusses vor, um dessen natürliche Hochwasserschutzqualitäten zu fördern.
Wir entwickeln ein klimaangepasstes Quartier entlang eines erweiterten Wuhle-Korridors für Biodiversität und Erholung, beginnend am Bahnhof Ahrensfelde Friedhof und übergehend in die freie Landschaft im Nordosten, verankert in der historisch-kulturellen Identität des Angerdorfes.
Autochthone Inspiration: Angerdorf
Das Angerdorf ist eine traditionelle Siedlungsform in Berlin-Brandenburg. Sie konzentriert die Bevölkerung um ein gemeinsames genutztes Naturgut, was wir als geeigneten Ansatz zu unserem Ziel ansahen, lebenswerte Quartiere mit einem ausgeprägten Heimatgefühl zu schaffen. Die Prinzipien des Angerdorfs, Gemeinschaft rund um die geteilte Natur und das Wasser zu fördern, boten die Chance, diese historische Siedlungsform wiederzubeleben, Naturkorridore zu schützen und gleichzeitig Wohnraum zu bieten.
Wir haben uns auch von der lokalen Straßendorf-Typologie von Ahrensfelde inspirieren lassen, bei der die Gebäude entlang einer Straße angeordnet sind und die Rückseite der Gebäude offen gestaltet ist. Wir haben eine Kombination der Straßendorf-Typologie und der Angerdorf-Typologie entworfen. Aus dieser Kombination haben wir Prinzipien abgeleitet, die mit dem Ort verbunden sind: Wasser, Wohnen und Gemeinschaft. Zusammenleben in unmittelbarer Nähe zur Natur.
Bei dieser Weiterentwicklung des Angerdorfes sind die Wohngebäude um einen natürlichen Gemeinschaftsraum angeordnet, der von einer Straße mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung von 20 km/h durchquert wird. Die im Zickzack verlaufende Straße ist von öffentlichen Grünflächen umgeben. Es ist ein Ort an dem sich das Leben entfaltet kann, Kinder spielen und sich Menschen begegnen können.
Die Straßenführung und die Anordnung der Wohngebäude verhindern Durchgangsverkehr. Die Rückseiten der Wohngebäude sind dem wilderen Ökosystem der Wiesen zugewandt. An der Vorderseite der Gebäude: Lebendige Grünflächen und Vorgärten, die einen Lärmfilter gegen den Verkehr bilden.
Auf der Rückseite befinden sich Wasserrückhalteflächen und eine Vielzahl von Arten – ganz im Sinne der Wuhle-Wildnis. Außerdem bleibt der Baumbestand weitgehend erhalten und dient als natürlicher Lärmschutz.
Use and Building Concept
Die direkte Nähe zu einem natürlichen Lebensraum, Gemeinschaftsgärten und dessen Erholungsmöglichkeiten fördern den sozialen Zusammenhalt. Zusätzlich wurden bezahlbarer Wohnraum, kurze Wege, die Nähe zu öffentlichen Verkehrsmitteln und der Zugang zu Arbeitsplätzen in die Planung integriert.
Insgesamt entstehen über 50.000 m² Wohnfläche und 18.000 m² Gewerbeflächen. Das entspricht 444 Wohnungen: 318 Mietwohnungen in dreigeschossigen Mehrfamilienhäusern, 122 Reihenhäusern und vier Doppelhaushälften.
Die verschiedenen Wohntypologien bieten eine hohe Durchmischung - von Mehrgenerationenwohnen und gemeinschaftlichen Wohnformen über studentengerechte Wohnungsgrößen bis hin zu Angeboten für junge Familien und Senioren mit unterschiedlichen Einkommensverhältnissen. Mit begrünten Wassergärten, Fassaden und Dachterrassen betont das Quartier das naturnahe Wohnen und bietet zahlreiche Möglichkeiten zur Erholung im Grünen.
Gebäudetypologien
Wir setzen auf eine modulare Gebäudetypologie mit regionaltypischen Satteldächern, um das neue Wohngebiet optisch in die bestehende Stadt zu integrieren und die Tradition des Angerdorfs aufzugreifen. Dieses System ist kostengünstig und ermöglicht durch verschiedene Kombinationen der Module eine große Vielfalt an Gebäudesilhouetten.
Die Gebäude im neuen Wohngebiet sind in sieben eigenständige Viertel organisiert, die aus der Neugestaltung des Angerdorfs hervorgehen und sich jeweils durch einen eigenen Charakter auszeichnen. Alle gruppieren sich um eine zentrale Grünfläche. Es befinden sich Cafés am östlichen Ortseingang nahe der Schule, an der Bushaltestelle Heinestraße und in der Nähe von der Kita und dem Seniorenzentrum.
Öffentlicher Raum
Die öffentlichen Räume des Quartiers verbinden sich mit den umliegenden Grünflächen des Wuhletalweges, des Friedhofswaldes und den Waldflächen am Neuen Schwanebecker Weg. Wir erweitern den Wuhlekorridor zu einem Netzwerk, das sich nahtlos in die gemeinschaftlichen und privaten Gärten der Bewohner integriert. Dies stärkt Flora und Fauna, knüpft an das historische Wassermanagement an und wird ergänzt durch Regengärten sowie nach der Miyawaki-Methode angelegte Wälder, die für Kühlung und saubere Luft sorgen.
Unsere Flächen vereinen vielfältige Funktionen und Aktivitäten. Gemeinschaftsgärten schaffen Raum für urbanes Gärtnern, Erholung, soziale Begegnungen und Bildung. Nachbarschaftsplätze bieten Platz für Märkte, Veranstaltungen oder einfach zum Ausruhen und Beobachten, während die angrenzenden Spiel- und Sportflächen für Kinder und Erwachsene gleichermaßen geeignet sind.
Die Geschichte des Ortes wird sichtbar: Im Norden grenzt der 1890 angelegte Friedhof an, im Süden das sowjetische Ehrenmal. Vom Bahnhof führt der Weg über das denkmalgeschützte Kopfsteinpflaster der Ulmenallee, vorbei an der neuen Bäckerei – einem Treffpunkt auf dem Schulweg – bis zum ersten Quartier. Das historische Pumpenhaus bleibt erhalten und fungiert heute als Museum, das die Wasserwirtschaft der Vergangenheit und Zukunft beleuchtet. Ein weiterer öffentlicher Raum entsteht an der Bushaltestelle Heinestraße, wo ein Café als Ort der Begegnung dient.
Climate Concept
Das Projekt sieht eine kombinierte Strategie von Klimaanpassung und Klimaschutz vor. Die Lage des Grundstücks in einem Überschwemmungsgebiet mit vorhandener historischer wasserwirtschaftlicher Infrastruktur ermöglicht es, das Projekt als Modell für ein nachhaltiges und attraktives Wohnquartier zu gestalten.
Durch die Gestaltung des neuen Wohnquartiers kann die ökologische Qualität der Wuhle deutlich verbessert werden. Große Wassermengen werden gesammelt, naturnah aufbereitet und so geleitet, dass ein konstanter Abfluss in den Nebenfluss Wuhle entsteht. Diese kontrollierte Wasserabgabe erfolgt über drei verschiedene Systeme.
Das hellblaue Netz dient zum Auffangen von Regenwasser. Eine Reihe von Wasserbecken leitet das Regenwasser in das dunkelblaue Netz. Selbst bei starken Regenfällen können die Netze große Wassermengen aufnehmen. Das graue Netz sammelt das Grauwasser der Haushalte und leitet es in einem kontrollierten und ökologischen Verfahren in das dunkelblaue Netz.
Das Wassermanagementsystem kann schätzungsweise 29.000 m³ Regenwasser pro Jahr auffangen. Dies trägt auch zur Kühlung des Viertels bei. Rund ein Drittel des gesammelten Wassers verdunstet im Sommer, was das Mikroklima an heißen Tagen deutlich verbessert.
Energiekonzept
Auf den Dächern des Quartiers sind Photovoltaikanlagen installiert, die jährlich rund 5.700.000 kWh erzeugen und damit 2.479 Tonnen CO2 einsparen. Überschüssige Energie wird in Elektrofahrzeugen gespeichert oder über das Quartiersnetz an die Haushalte verteilt.
Geothermie und erneuerbare Energie aus dem umgebauten Gaswerk (LEAG) versorgen die Gebäude mit Wärme und Kälte. Eine systemische Kombination von Wärmeversorgung durch ein Blockheizkraftwerk, Wärmepumpen und Kühlung aus Regengärten versorgt das Quartier.
Mobilitätskonzept
In Wuhle, Wiese, Wohnen hat der nichtmotorisierte Verkehr Vorrang. Die Wohngebiete werden durch Einbahnstraßen erschlossen, um Durchgangsverkehr zu vermeiden. Ein zusätzliches, separates Fußwegenetz gewährleistet eine sichere und eigenständige Mobilität, insbesondere für Kinder und ältere Menschen. Das Gebiet wird an das regionale Fuß- und Radverkehrsnetz angeschlossen, z.B. an den Radschnellweg Ostring nach Köpenick.
Neue Bushaltestellen entstehen an der Lindenberger- und Wasserstraße für den Linienbusverkehr und an der Lindenberger- und Ulmenallee für den Schulbusverkehr. Zwei Parkhäuser sollen den ruhenden Verkehr auf bestimmte Bereiche konzentrieren und die Straßen weitestgehend von parkenden Autos freihalten.
Die Polytan GmbH wird in den nordwestlichen Teil des Geländes verlagert. Dadurch kann der Güterverkehr vom Anwohnerverkehr getrennt werden. Das Waldgebiet zwischen Gewerbe- und Wohngebiet schafft Abstand und Ruhe. Außerdem wirkt es als natürlicher Lärmschutz zur Lindenberger Straße und zur Kompostieranlage der Areta GmbH.